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Die blaue Hochburg von Düsseldorf

Bei der Bundestagswahl im Februar 2025 hat die AfD im Düsseldorfer Stadtteil Garath mit 31% der Stimmen die Mehrheit erreicht, bei einem städtischen Durchschnitt von 11%. Dieser Stadtteil im Süden von Düsseldorf ist in den 60-er Jahren mit dem Bau von 8000 Wohnungen für 30000 Einwohner ohne Spielraum für architektonische Experimente aus der Retorte entstanden. Über Jahrzehnte war der Stadtteil eine Hochburg der SPD. Aus der Sicht der Sozialen Dienste der Stadt ist Garath bis heute auch ein sozialer Brennpunkt. Die Anwohner dort realisieren immer stärker, dass das lange geglaubte Aufstiegsversprechen vom ökonomischen Fortschritt, das sich in der Realität bestätigen müsste, seine Glaubwürdigkeit verliert. 
Aus dieser Misere heraus gewinnen politische Versprechen an Überzeugungskraft, deren Behauptung primär im ideellen Raum angesiedelt ist und deren Erfüllung in der Wirklichkeit nebulös erscheinen kann und nachrangig ist. Wenn es den Leuten ideell schlecht geht, hilft schon ein neues Versprechen, um die Stimmung zu heben und Zuspruch zu erzeugen, verbunden mit dem Slogan: Versprechen halten. Dieses neue, rein ideelle Versprechen ist die exklusive und Selbstwert steigernde Zugehörigkeit zum Volk der Deutschen, zu einer Bewegung des Volkes, als deren Sammelbecken sich die AfD versteht, denn nur sie als die Alternative verfüge über die Kraft, Deutschland zu retten. 

Nach dem großen Erfolg bei der Bundestagswahl betrachtet die Düsseldorfer AfD Garath als ihren Brückenkopf und hat diesen Standort für eine besondere Veranstaltung vor der Kommunalwahl am 14.9.25 vorgesehen. Eingeladen in die Freizeitstätte Garath ist der Fraktionsvorsitzende der AfD im Brandenburgischen Landtag, Dr. Hans-Christoph Berndt, mit dem Vortrag: „Vom Osten lernen, heißt siegen lernen“. Wer hier im Westen diesen Titel in seiner Allgemeingültigkeit versteht und mit dem Begriff des Ostens ein fundamentales historisches Scheitern verbindet, schüttelt über die Anmaßung dieser Ansage den Kopf. Wer hingegen den Erfolg der AfD im Osten vor Augen hat, erwartet Ratschläge eines Siegers an die heroischen Vorkämpfer in der westlichen Diaspora. 

Aus diesem Anlass haben sich alle anderen Parteien der Stadt zu einem Aktionsbündnis zusammengeschlossen, das vor der Veranstaltung eine Menschenkette um das Kulturhaus Süd bilden will. Jahrelang bin ich, wie viele im bürgerlichen Milieu, solch konkreten politischen Veranstaltungen ferngeblieben. Der massive Eindruck, dass die allermeisten Angehörigen der bürgerlich-demokratischen Mitte noch nicht begriffen haben, was heute auf dem Spiel steht, hat mich dazu bewegt, die gegenwärtig extreme politische Frontstellung konkret in den Blick zu nehmen. Da die AfD vorab eine Anmeldung und bei Eintritt die Vorlage des Personalausweises verlangte, kam eine Teilnahme im Saal nicht infrage. Doch bin ich aus der Innenstadt hingefahren, um mir ein Bild von der Menschenkette und den näheren Umständen zu machen. 

Schon am Parkplatz jenseits der S-Bahnlinie hat ein voll besetzter Mannschaftswagen der Polizei Stellung bezogen. Vermutlich ist das gesamte Areal rund um den Veranstaltungsort weiträumig mit Vorposten abgesichert. Unmittelbar an der Freizeitstätte ist das aus dem Ruhrgebiet rekrutierte Polizeiaufgebot beeindruckend, mindestens doppelt so viel wie die 120 Teilnehmer, die sich, laut Berichterstattung der Rheinischen Post vom Tag danach, im Veranstaltungssaal versammelt haben. Die laut RP etwa 600 Demonstranten skandieren ihre Parolen, lassen aber unter dem wachsamen Auge des Polizeiaufgebots den Eingangsbereich zur Halle frei. Oben an der Count-Down-Stehle des Künstlers Hans-Albert Walter vor der Freizeitstätte haben die Gegner der AfD ein großes Transparent aufgehängt: „DEMOKRATIE BRAUCHT KEINE ALTERNATIVE“. 

Unter dieser Botschaft tummelt sich kontrafaktisch eine Gruppe um den Oberbürgermeisterkandidaten der AfD Düsseldorf, Claus Henning Gahr. Es wird nervös an E-Zigaretten gelutscht und aus Flaschen getrunken. Dann wird vom Veranstalter aus dem Hintergrund noch eine zehnköpfige Truppe – Typ tätowierter, schwarz gekleideter, muskulöser Saalordner – herbeigeleitet, um gemeinsam ins Gebäude zu verschwinden. 

Seit Ende Juli verfolge ich den Auftritt der AfD Düsseldorf auf X, mit dem sie die Kommunalwahl Mitte September propagandistisch vorbereitet. Mein zweiter Kommentar an Gahr vom 12. August lautete: „Gahr postet heute über nötige Abwanderung, ein nötiges Verbot des Tragens der Burka, vergleicht Corona mit Sonnencreme und lobt das freundliche Gesicht des NS für seine gute Arbeit: damit der absolut Falsche für die OB-Wahl der weltoffenen Stadt Düsseldorf.“ Im Gegenzug hat Volljurist Gahr mich für zukünftige Kommentare geblockt und eine Schutzmauer für seine homogene Gefolgschaft gezogen, die er instinktiv wohl für genauso labil hält wie sich selbst. 

Im Gegensatz zu allen anderen Parteien der Stadt betreibt die AfD Düsseldorf mit fünf Accounts auf X sehr aktiv ihren Kommunalwahlkampf. (Elmar Salinger, Kreissprecher Düsseldorf; Andrea Kraljic, Ratsfrau im Stadtrat Düsseldorf; Marco Vogt, stellvertretender Kreissprecher Düsseldorf, Claus Henning Gahr, Ob-Kandidat und der Account Die Alternative für Düsseldorf) Vernetzt mit zahlreichen regionalen und nationalen AfD-Accounts dokumentiert sie Aktivitäten, verbreitet Wahlparolen und teilt massenhaft ihre Losung vom Niedergang und drohenden Untergang Deutschlands aus, um sich als ersehnter Retter zu stilisieren. 

Zurück vor die Freizeitstätte. Nachdem alle Teilnehmer in der Halle verschwunden sind, ziehen die Protestler ihre Menschenkette etwas enger um das Gebäude. Ich komme auf gut Deutsch in ein Gespräch mit fünf jungen Kerlen zwischen 15 und 16, mit Migrationshintergrund. Sie berichten von ihrem Aufenthalt am Info-Stand der AfD und fühlen sich dort freundlich beraten. Nach einem längeren Austausch über den Volksbegriff der AfD, sprachlich heruntergebrochen auf Klartext, den die Jungs verstehen – die halten euch trotz Pass für Deutsche zweiter Wahl und schmeißen euch vielleicht irgendwann raus –, greifen zwei von ihnen in ihre Jeans und entsorgen die entgegengenommenen AfD-Flyer ordnungsgemäß im städtischen Müll. Ein Autohändler, der euch eine Rostlaube als gute Qualität verkaufen will, mache das auch auf freundliche Art, gebe ich ihnen noch mit auf den Weg. 

Im Schweifen des Blicks über das Panorama von Demonstranten und Polizisten verweilt das Auge an einem Pfosten mit zwei Straßenschildern: das Garather Bürgerhaus liegt direkt an der Fritz-Erler-Straße, in unmittelbarer Nähe zum Nikolaus-Groß-Platz. Da treffen sich die Rechtsextremen im Anblick der beiden Straßenschilder zum Gedenken an die NS-Widerstandskämpfer Nikolaus Groß und Fritz Erler, um sich auf der Basis des ethnischen Volksbegriffs über die Notwendigkeit der Rettung Deutschlands vor der Überfremdung zu verständigen! 

Tags darauf postet die Düsseldorfer Ratsfrau der AfD, Andrea Kraljic, auf X ein Foto der Menschenkette, auf dem, unmittelbar vor den beiden Straßenschildern des Gedenkens, Eltern mit Halbwüchsigen (die Gesichter sind unkenntlich gemacht) auf selbst gebastelten Pappschildern dazu auffordern: „NAZIS VERPISST EUCH.“ Im Begleittext fragt Kraljic sich und ihre 6000 Follower, ob das „schon kindeswohlgefährdend“ sei, „den eigenen Nachwuchs vor den bunt-fanatischen Karren zu spannen…“ Davon abgesehen, dass sie keine Ahnung davon hat, was den Begriff ausmacht, reklamiert sie im Namen der AfD eine mögliche Kindeswohlgefährdung, nur weil Eltern zusammen mit ihrem Nachwuchs demonstrieren und politisch Position beziehen. Kraljic legt polemisch fragend kriminelles Verhalten der Eltern nahe und bescheinigt dem bunten und kreativen Statement für Demokratie Fanatismus. Im Blick auf die Straßenschilder zum Gedenken an Erler und Groß ist das ehrlos und geschichtsverleugnend. 

Um den ideologischen Hintergrund solcher Reflexe zu begreifen, geht es jetzt doch in die Freizeitstätte, allerdings nur medial. Denn es gehört zum Service der AfD, ihren Mitgliedern und Interessenten solche Veranstaltungen auf YouTube in Aufzeichnung zur Verfügung zu stellen. Gut geeignet für eine ideologiekritische Supervision, weil bei dieser Art von Veranstaltung die Logik des politischen Ansatzes, der Bauplan, das Räderwerk der ideologischen Maschine verdichtet und gebündelt sichtbar werden. (https://t.co/LYvJ9cqkp8

Dr. Hans-Christoph Berndt ist für den Zweck einer solchen Hermeneutik ein dankbarer Proband, weil er rational klar den irrationalen Zusammenhang der AfD-Denkart bündelt, die NS-Herkunft einzelner Motive des Programms aufscheinen lässt und die Bedeutsamkeit ostdeutscher Prägung für sein AfD-Engagement zum Ausdruck bringt. In seinem 45-minütigen Vortrag präsentiert er das ideologische Rüstzeug der Partei in einem Guss, so dass der Zuhörer den Eindruck gewinnt, alle Elemente der AfD-Identität seien aufeinander abgestimmt und bezogen. Die ideologische Welt dieser Partei ist fensterlos in sich geschlossen. 

Dr. Berndt aus Brandenburg erhebt zu Beginn des Vortrags seine Person aus der Menge der Mitläufer und positioniert sie gegen das „betreute Denken“ und die „staatlich verordnete Unmündigkeit“. Er reklamiert für sich Autonomie des Denkens in Absetzung vom medialen und politischen Mainstream, und er widersetzt sich mit Mut der Unmündigkeit, die ihm vom Staat verordnet erscheint. Die Form, in der das Denken betreut und die Unmündigkeit vom Staat verordnet wird, durch ÖRR und linke Lügenpresse etwa, bleibt hier unerwähnt. Zu Beginn ist Berndt allein der Gestus seiner heroischen Erhebung wichtig, mit der er als Ostdeutscher eine Wiederholung der persönlichen Befindlichkeit bei der Wende von 1989 anspielt und sich in die kantische Tradition stellt, der selbstverschuldeten Unmündigkeit mit dem Mut der Bedienung des eigenen Verstandes entgegenzutreten. „Die Personen da draußen“, gemeint sind die Protestler vor der Freizeitstätte Garath, seien dafür verantwortlich, wie schlimm es um Deutschland steht und wie krank unser Land ist. Er sieht sich und die AfD als Aufklärer. Er verkehrt die Welt. 

In einer noch schärferen heldenhaften Setzung richtet sich Berndt dann direkt gegen den Verfassungsschutz, als ob der im Saal sei und zuhöre, doch ihn nicht aufhalten könne: Deutschland sei das Land der Deutschen, Erbe der Vorfahren, Heimat, und es gelte, diese Heimat zurückzugewinnen. Nur deswegen gebe es die AfD und zwar als Volkspartei. Die Zuhörer in der Freizeitstätte, die von der Kamera nicht gezeigt werden, verbinden sich im begeisterten Beifall mit diesem Totalitätsversprechen, als Volk sich Deutschland wieder anzueignen. Die AfD in Garath stehe im Westen für dieses Ziel, so Berndt. 

Dann entfaltet Berndt mit allem, was sein mutiger Verstand hergibt, die heilige Dreifaltigkeit der Alternative für Deutschland:
1. Die AfD bejaht das deutsche Volk. 
2. Die AfD ist nur als Teil einer Volksbewegung erfolgreich. 
3. Nur die AfD kann Deutschland retten. 
Berndt kennt keine Hemmungen, sich dabei aus dem ideologischen Inventar des NS zu bedienen, indem er für seine Partei mit den Begriffen Volk, Bewegung und Rettung zentrale Kategorien des mythischen Erlösungsversprechens der Nationalsozialisten aufnimmt, verdichtet und auf die deutsche Gegenwart überträgt, 2025 im Bürgerzentrum Düsseldorf-Garath auf dem Terrain von Fritz-Erler-Str. und Nikolaus-Groß-Platz. 

Nun zeigt der Missionar aus dem Osten, von dem die Garather Parteifreunde das Siegen lernen sollen, einen kurzen Film aus dem Jahr 2015. Berndt wohnt im Brandenburgischen Golzen-Sagritz, Landkreis Dahme-Spreewald. Die Hauptstraße dieses Weilers heißt – Dorfaue. Als in der Nachbargemeinde Zützen mit 350 Einwohnern 2015 eine Gemeinschaftsunterkunft für 120 politisch Verfolgte ohne Einbeziehung und Mitbestimmung der Bewohner errichtet werden soll, bildet sich die „Initiative Pro Zützen“, der auch Berndt angehört. Es kommt zu einer großen Kundgebung, bei der Berndt aktiv auftritt, um mehr demokratische Teilhabe einzufordern. Der kurze Film zeigt diese Kundgebung und Berndt als Mitinitiator. 

Im Grunde sieht man in den fünf Minuten des Films die Schlüsselszene von Berndts politischer Wende Richtung AfD, eine von vielen ähnlichen Urszenen, aus denen im Osten ab 2015 der politische Flash-Back der DDR-Zeit sich der Bevölkerung aufdrängte, erst in Pegida floss und dann in die AfD mündete. 25 Jahre nach der Wiedervereinigung, bei der wir ein Volk wurden, kommt von oben, entsprechend der universell orientierten, humanitären Selbstverpflichtung Deutschlands unter Merkel, die Weisung zur Unterbringung von 120 Flüchtlingen bei 350 Bewohnern des Ortes. Berndt erfährt in diesem Ereignis alle Zutaten, aus denen er sich sein heute wirksames und weiterentwickeltes Weltbild konstruiert:
- Erneut wird der Bürger nicht gefragt (DDR 2.0).
- Von oben wird nach herrschender Auffassung verfügt.
- Die Fremden halten Einzug in Deutschland. 
-  Der Islam breitet sich aus – Domplatte und Messerstecher. 
-  Schuld an all dem ist Frau Merkel. 
-  Das Volk beginnt sich durch Ausschluss ethnisch zu definieren. 
-  Moralische Universalität wird von der Dorfaue abgewehrt. 
-  Die fesselnde, alles regulierende EU muss abgeschafft werden. 

Später sagt Berndt den Garather Parteifreunden unter großem Beifall: „Erzwungene Diversität ist Verlust an Gemeinsinn und ein Angriff auf Demokratie.“ Das Funktionieren von Demokratie sei an einen homogenen Volkskörper gebunden. 

Dörflich provinzieller Gemeinsinn bringt sich in Abwehrstellung gegen Globalisierung und urbanen Universalismus, der Osten gegen den Westen, der Eigensinn gegen verordnete Mitmenschlichkeit und schließlich die AfD als Sammelbecken gegen die Systemparteien. 

25 Jahre nach einem einschneidenden und kompletten Identitätswechsel stehen Berndts Ex-DDR-Kollegen 2015 einer erneuten Herausforderung gegenüber. Sie müssten das universelle Menschenrecht in christlicher Tradition mehrheitlich anerkennen, um die Zumutungen der Einquartierungen und Integrationshilfen anzunehmen und zu bewältigen. Das ist den Ostdeutschen weniger möglich, weil ihre persönliche Existenz auch ökonomisch nicht so gefestigt ist wie im Westen. Polemisch formuliert: weil gezwungenermaßen Fremde ins Gemeinwesen gesetzt wurden, hat sich der Gemeinsinn verloren, und die Demokratie ist angegriffen worden, weil man keine Mitsprache hatte. Die Grenzöffnung durch Merkel wird besonders im Osten folgerichtig als Trauma empfunden und gezeichnet, als Sündenfall und Verrat am deutschen Volk hochstilisiert. 

Berndt liefert in Garath, auf der Basis seiner DDR-Prägung, das individuelle Psychogramm seiner gescheiterten politischen Sozialisation in den „Westen“ hinein. Im Allgemeinen bietet er die paradigmatische Urszene der politisch-ideologischen Weichenstellung, deren Folgen in die Alternative für Deutschland eingegangen sind und in ihrer Logik sich dem ökonomisch erfolgreichen und weltoffeneren „Westen“ rechtsextrem darstellen. Berndt und all die anderen Deutschtümler der AfD reagieren seitdem mit verschärfter mythischer Aufladung alles Deutschen in Sport, Kultur und Politik, mit Kulturkampf statt Realpolitik, mit Fremdenfeindlichkeit und Rassismus statt universeller Menschenwürde, mit radikaler Beschimpfung von Institutionen statt Anerkennung ihrer staatstragenden Notwendigkeit. 

Berndt schmeichelt in seiner Rede immer wieder den Garather Parteifreunden der „blauen Hochburg“ im Westen, die als Teil der Bewegung sich der historischen Aufgabe widmen, den Niedergang Deutschlands zu stoppen. Dann haut er den bekannten Satz raus, dessen Suggestivkraft vom Beifall der Zuhörer überboten wird: „Nur die AfD kann Deutschland retten.“ Umgekehrt verwundert es, wie die rheinische AfD-Kerntruppe, verehrend und ergeben, den Botschafter des Sieges aus dem Osten ständig mit dem Doktortitel hofiert, den er als Laborarzt tragen darf. Der Titel erleuchtet und bewahrheitet ihnen die dargebrachte Botschaft. 

Und dann wird ohne Nennung des Namens, in raunender Offenbarung ein Besuch Höckes in Garath für die nähere Zukunft in Aussicht gestellt. In einer Art, als ob ein Gott die Besatzung des blauen Leuchtturms im äußeren Westen salben werde, zur Stärkung des Glaubens an die Sendung, Deutschland den Deutschen wiederzugeben. Tosender Applaus in der Freizeitstätte. Doktor Bernd inszeniert sich als treuer Jünger Höckes und beglaubigter Vorbote mit inniger Verbindung zum Wesen und mit Zugang zum Ohr dieses wahren Deutschen, des Deutschlandretters. 

Wenn man – vor vielen Jahren schon – einmal intensiv bis zum Widerwillen in Texte von NS-Ideologen eingetaucht ist und die Strickmuster ihrer Botschaften sich erarbeitet und durchschaut hat, dann kann man angesichts der Wiederkunft dieser Motive nur ganz ungläubig und heftig den Kopf schütteln. So wie Berndt die deutschen „Schandtaten abhaken“ und wieder „stolz auf unsere Heimat“ sein will, so verweigert er auch den Blick in den Sprachspiegel der NS-Propaganda, um quasi neugeboren wieder die gleiche völkische Botschaft der Rettung auf der Basis von Ausgrenzung anderer zu predigen. Deutschland müsse vor Überfremdung gerettet werden. 

Wie es sich für Vorkämpfer einer Volksbewegung im Aufbau gehört, beschwört Bernd an diesem Abend mehrfach den Mut als wesentliche Voraussetzung. Der neue Bundesvorstand beweise Mut in seiner Verbindung zu Martin Sellner, so wie der einfache Plakatkleber und Wahlkämpfer am Infostand gegen Kartellparteien und linken Filz: politischer Kampf als heroisches Opfer, das Mut verlangt. Zu Mut, Tapferkeit und Stolz setzt Berndt zum Abschluss seiner Rede über das Siegen lernen vom Osten vor dem Kreisverband Düsseldorf in Garath, dem blauen Leuchtturm für ganz Deutschland, noch das Hoffen hinzu. Er hat als Gastgeschenk die grafisch-künstlerische Gestaltung des Satzes, „Hoffen ist Pflicht“, in fünf Druckexemplaren mitgebracht, die er dem Führungskreis der blauen Hochburg im Westen überreicht: „solange es solche Kandidaten gibt, ist Deutschland nicht verloren.“ 

Mit der komplex pathetischen Deutschland-Parole der Rettung als historischer Aufgabe im Kampf gegen Krankheit, Niedergang, Resignation und Überfremdung des Landes, eröffnet Bernd einen weiten, unbestimmten doch vielversprechenden Resonanzraum, aus dem heraus die „Leistungsträger des deutschen Volkes“ ideelle Orientierung erfahren. Die blauen Alternativen von Garath bekommen von Berndt eine politische Heimat ans Herz gelegt, in deren Reinheit sie, ohne nachzudenken, einfach nur noch schwelgen müssen. Berndt, der in seiner Rede den Düsseldorfer Oberbürgermeister Keller einen „linksgrünen Fanatiker“ nennt und den NRW-Ministerpräsidenten Wüst, als „Geschäftsführer der Grünen in der CDU“ bezeichnet und ihm „schlecht heilbare Wahrnehmungsstörungen“ attestiert, ist auf diesem nationalistischen Trip, das innere Deutschland als Identität heim ins Reich zu holen, nicht mehr fähig, der Irrationalität des eigenen Gefasels inne zu werden. 

Aus der Schwerpunktsetzung auf ideologischen Kulturkampf resultiert die Armseligkeit der realpolitischen Perspektive der AfD. Ein Beispiel: So geht ihr Vorschlag, durch Installation eines „Zentrums für Gesundheit und Chance (ZGC)“ in der ungenutzten Bergischen Kaserne am Rande von Düsseldorf „obdachlose Schwersuchtkranke“ unterzubringen, um der grassierenden Obdachlosigkeit im Bereich der Innenstadt zu begegnen, an der demokratischen Kultur und Rechtslage völlig vorbei. Diese Forderung wird in Garath noch einmal bestärkt. Im Wahlprogramm heißt es dazu: „In Düsseldorf aufgegriffene obdachlose und/oder schwer suchtkranke Personen werden nach Möglichkeit in der ZGC untergebracht und betreut. Die Zeit des liberalen Laissez-faire endet mit dem ZGC…“. In einem früheren Entwurf des Wahlprogramms hieß es: „In Düsseldorf aufgegriffene obdachlose Personen werden verpflichtend in die ZGC verbracht.“

Polemisch formuliert: wer aufgegriffen wird, wird in die Kaserne deportiert und dort kaserniert, bis er nach Resozialisation und Entgiftung dem deutschen Volkskörper wieder zugemutet und einverleibt werden kann. Mit welcher Legitimität? Liberales Laissez-faire, das Recht auf Selbstbestimmung ist verwirkt. In diesem Kontext wird auch die Heranziehung arbeitsfähiger Asylsuchender zu gemeinnütziger Arbeit auf das Gelände der Kaserne von der AfD erwogen, die dann „nach einer Phase der Bewährung in den Genuss der Ausbildungsdienstleistung kommen“ können: Verfügt der autoritäre Charakter in seiner unendlichen Großzügigkeit. Dieser Textbaustein aus dem Wahlprogramm zeigt weder Gespür für die sprachlich wach gerufene NS-Herkunft solch blauer Schnapsideen, noch Bewusstsein für die demokratische Verfasstheit der heutigen Republik. 

Oliver Weber hat in einem Beitrag zur Krise der Demokratie, „Die Zukunft ist nicht parteiisch“ (FAZ vom 10.09.2025), abschließend folgende Fragen gestellt: „Können Gemeinsinn und Anerkennung der Bürger untereinander gedeihen, wo nationale Gemeinschaften sich auflösen? Ist es möglich, Solidarität ohne Weiteres zu universalisieren? Oder gibt es nicht historische Bedingungen politischen Handelns, über die man auch in universalistischer Absicht nicht einfach hinweggehen kann?“ 

Das sind Fragen, die sich angesichts der beschriebenen Garather west-östlichen Szenarien und Verhältnisse in und außerhalb der Freizeitstätte aufdrängen, um den aktuellen Kollisionskurs und Zusammenprall der etablierten Parteien des Fortschritts und der stark mythisch, rückwärts orientierten AfD zu begreifen. Jenseits der Rechts-Links-Schubladen sind gegenwärtige Verfallserscheinungen der Demokratie möglicherweise darauf zurückzuführen, dass über Einwände aus traditionellen Lebensformen politisch zu schnell und rücksichtslos im Namen von Fortschritt und Universalität hinweggegangen wurde. Ein Selbstverständnis der Bindung an traditionelle Lebensformen lässt sich wohl nicht so einfach von Parteien des „Fortschritts“ in Richtung Weltgesellschaft auflösen, ohne Vereinzelung, Entsolidarisierung, politischen Protest und Widerstand zu riskieren. 

Diese Fragen zu stellen, bedeutet keinesfalls Zustimmung oder Verständnis für Positionen der AfD. Eine solche Perspektive betrachtet diese Partei jedoch als Symptom von gesellschaftlichen Verarbeitungsproblemen der Fortschrittsdynamik anlässlich stärkerer Krisenwahrnehmung und Zukunftsangst. Es könnte politisch ratsam sein, Einsprüche gegen Globalisierung und Universalität weniger prinzipiell abzuweisen, ernster zu nehmen und bei politischen Entscheidungen umgehender und mutiger zu berücksichtigen. 

Einerseits ist die AfD ein Symptom, doch andererseits blenden ihre Protestwähler deren Fremdenfeindlichkeit und ethnischen Volksbegriff aus, fühlen sich mittlerweile, gerade im Osten, in der AfD-Mehrheit ihrer Nachbarn innerlich zuhause und machen sich alltäglich schleichend mehr und mehr zum Feind der Demokratie, ohne das so recht überhaupt zu begreifen. Die Willkommenskultur hat sich bei der AfD programmatisch in extreme Selbstbezogenheit verwandelt, die sich mental radikal abgrenzt, um, mit Berndt gesprochen, „Deutschland“ nicht zu verlieren, sondern zu retten. Die ideologische Herstellung einer inneren Heimat dieses Mentalitätswechsels bedarf keiner seriösen realpolitischen Konzepte, die über den Charakter von Behauptungen hinausgehen. Allgemeine wegweisende Forderungen genügen. Deshalb verpufft auch der häufige, realpolitisch gemeinte Hinweis an AfD-Wähler, dass sie, den Wahlprogrammen entsprechend, am meisten unter der Politik dieser Partei leiden werden. Diese Warnung verfängt nicht, weil der Opfermut, der Stolz, zur Bewegung zu gehören, und die Vision, Deutschland zu retten, als Steigerungen des Selbstwertes im inneren Reich jenseits der Realpolitik liegen und alles aufwiegen. Die AfD-Ideologie, wie sie Berndt in Garath inszeniert, ist als Erzählung rekonstruierbar und hat insofern Logik, ist aber als mythisch grundierte Botschaft völlig irrational. 

Am Beispiel der EU: die EU fesselt, verhindert die Freiheit des Handels, ist eine Verneinung Europas, bringt uns nichts mehr, gehört abgeschafft, muss durch einen Bund souveräner europäischer Nationen ersetzt werden. Ökonomie, Institutionen und Verwaltung in ihrer rationalen und stabilisierenden Kraft bleiben im Rahmen dieser, dem Mythos der Nation entsprungenen Forderung unbedacht und erscheinen wertlos. Wenn Deutschland als starke Nation der Deutschen wiederhergestellt werden soll, dann kann natürlich auch Europa nur als Bund von souveränen Nationen gedacht werden. Hier geht’s nicht um Reformen, Anpassungen und Weiterentwicklungen, hier geht’s um Zerstörung und Revolution im Namen einer mythischen Konzeption von Volk, Nation und Europa. 

Und all das soll nicht verfassungsfeindlich sein, sondern durch demokratische Wahlen weiter etabliert werden, um in der Folge Demokratie zu demontieren? Wo bleiben von kompetenten Juristen erarbeitete Konzepte, die vor dem Bundesverfassungsgericht standhalten und Erfolg versprechen, auf der Basis all dessen, was längst dokumentiert ist?

Nach der gestrigen NRW-Kommunalwahl steht heute fest: Bei der Wahl zum Rat der Stadt Düsseldorf hat die AfD im Stadtteil Garath 31,5% der Stimmen erzielt, vom Stimmenanteil 6% mehr als die CDU und 15% mehr als die SPD. Im Mittel der Stadt erreicht sie 10,5%. Der OB-Kandidat der AfD, Claus Henning Gahr, hat in Düsseldorf 10% und damit 24.270 der abgegebenen Stimmen erhalten, von Bürgern, die ihm das Amt des Oberbürgermeisters anvertrauen wollen. Ein Mann, der in einem Post vom 27. August 2025 auf X stramm reaktionär die Grenzöffnung von 2015, ganz im Geist von Ossi Berndt, als „Höhepunkt des Hasses der Deutschlandzerstörerin“ Angela Merkel bezeichnet und Ingo Zamperoni von den Tagesthemen als einen der vielen „hochbezahlten Deutschlandhasser im Staatsfunk“ hervorhebt, die „unser Land noch immer im Würgegriff“ halten. „Deutschland“ als mythische Überhöhung und primärer Nutznießer geht für Gahr vor Mitmenschlichkeit als Grundlage politischer Entscheidung und vor Universalität der Menschenrechte als Fundament der Berichterstattung im ÖRR. Wer das nicht teilt, hasst und zerstört Deutschland. Möcht leiden, es gäbe noch einen breiten Konsens, was von so jemandem zu halten ist: eigentlich unwählbar! 

Olaf Haas, 15.09.2025