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Brandmaurer Bahners
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Brandmaurer Bahners auf dem Römerberg 

Patrick Bahners hat mit dem Vortrag „Kontinuitätslinien des deutschen Rechtsnationalismus“ bei den Römerberggesprächen am 18. November 2023 (Youtube) eine ideologiekritisch inspirierte Betrachtung von Äußerungen Neo Rauchs über Kunst und Politik vorgenommen. Dabei war das große Interview von Rauch in der NZZ vom 17. Juni 2023 die alleinige Textgrundlage. 

Bahners, der FAZ-Mann für Geisteswissenschaften, Twitter-Aktivist und Buchautor, hat sich seit Jahren als einer der intimen Kenner und Deuter von Strickmustern und Quellgründen rechter Ideologie einen Namen gemacht und ist sensibel dafür, was unter der Verwendung bestimmter sprachlicher Formate, Begriffe und Chiffren sein ideologisches Unwesen treibt und öffentlich erneut Verbreitung findet. Er sorgt mit seinem ideologiekritischen Besteck und den verwendeten Schablonen im explizit politischen Bezirk bei der Analyse der AFD als Nährbecken der aktuellen Wiederkehr des deutschen Nationalismus ohne jeden Zweifel für die nötige Aufklärung. Dass dieses, auch auf dem Römerberg ausgepackte Instrumentarium dem künstlerischen und sprachlichen Wirken Neo Rauchs wirklich gerecht wird, soll jedoch im Folgenden an Beispielen seiner Interpretation auf den Prüfstand gestellt werden.

Mögen politische Programme und explizit politische Reden die eindeutig aus ihnen hervorgehenden kulturellen Verlautbarungen kontextuell beleuchten und damit als im Geiste verwandte Ausflüsse plausibel machen, so schafft der umgekehrte Weg, aus kulturellen und ästhetischen Stellungnahmen politische Positionen abzuleiten, wesentlich fragwürdigeren Ertrag, weil zum Beispiel romantische und konservative Haltungen nicht notwendig mit dem von Bahners im Allgemeinen überzeugend diagnostizierten neuen deutschen Nationalismus einhergehen müssen. Vielmehr birgt ein solch induzierendes Vorgehen aus der Kultur in die Politik die Gefahr des Missverstehens mit denunziatorischem Beigeschmack, weil die Rolle des Hüters der Demokratie, in der Bahners auftritt, den erhobenen moralischen Zeigefinger mit Zugriff auf gelbe und rote Karten mit sich bringt.
Bahners nimmt bei seinem Einstieg in den Vortrag die aktuelle Situation der Documenta zum Ausgangspunkt. Ihre 15. Auflage 2023 sei in ihrem Scheitern Ausdruck der Krise des Internationalismus, des ihr zugrunde liegenden Konzepts, die Deutschen mit der Internationalität von Kunst bekannt zu machen, um den überkommenen, national orientierten Kunstbegriff im Medium der Weltkunst zu überwinden. Heute, zum Zeitpunkt seiner Rede, sei noch niemand gefunden, der die Planung der nächsten Documenta leiten soll.
Zur Erläuterung, warum die Documenta 2023 so „schief gegangen ist“, greift Bahners auf die „Erklärung“ eines „Zuständigen“ zurück, von der aus er sein Thema entwickeln möchte. Ein „berühmter Künstler“ habe diese Erklärung schon im Sommer, vor den jüngsten Entwicklungen, aber schon im Rückblick auf die große Krise der 15. Documenta gegeben. Dieser Künstler stehe für etwas anderes als die „berühmte Weltsprache der Abstraktion der internationalen Kunst“. Damit sei keine Wertung verbunden: „ich bin auch kein Kunstkritiker“. An dieser Stelle führt Bahners Neo Rauch namentlich ein, mit dem Hinweis auf sein großes Interview mit der NZZ. Dort habe er seine „Erklärung für diese Krise und dieses Scheitern der Documenta gegeben“. Rauch habe dabei den Antisemitismus, „der der Documenta-Leitung vorgeworfen ist“, erwähnt und ihn auch als schrecklich bewertet. Doch seine Erklärung gehe einen Schritt zurück und setze tiefer an: bei der Frage, was ist Kunst, was ist der Künstler? Dann zitiert Bahners Rauch aus der NZZ:
„Ich halte viel von dem Prinzip, dass der Künstler in seiner Daseinsform ein Sonderling ist, ein von gesellschaftlichen Grundmaßstäben in bestimmter Weise abweichender Könner. Kassel huldigte hingegen dem Kollektivismus. Und dieser erinnert natürlich an grauenvolle Zustände, die wir hinter uns gebracht wähnten. Die Documenta war eine Attacke auf den nicht normierbaren Sonderling, der etwas kann, was andere nicht können, und der Anlass gibt zum ehrfürchtigen Staunen. Wenn dieser verschwindet, dann verschwindet mehr, als sich manch einer zu erträumen wagt.“

Auf der Grundlage dieses Zitats beginnt er mit der politisch-ideologischen Einordnung: Rauch formuliere hier eine kunsttheoretische, kunstsoziologische These, die geschichtspolitische Implikationen enthalte bezüglich seines Themas der Tradition eines rechten deutschen Nationalismus und seiner Wiederkehr. Rauch liefert hier also Anschauungsmaterial für Bahners Thema. In der „Polemik“ gegen die kuratorische Leitung der indonesischen Ruangrupa, ein sich „natürlich“ als links und progressiv verstehendes Kollektiv, spiele Rauch die grauenvollen Zustände an, die wir hinter uns gebracht wähnten. Mit diesen grauenvollen Zuständen meine Rauch, „natürlich hier in Deutschland“, den Nationalsozialismus. In einer bekannten Argumentationsfigur der Extremismusdiskussion werde von ihm damit eine Brücke geschlagen und der dezidiert linken, kollektivistischen Position vorgehalten, sie habe in ihrem Antisemitismus an den rechten Kollektivismus, hier den Nationalsozialismus, angeknüpft. Umgekehrt bedeute das, dass die Position, von der aus Rauch spreche, für sich beansprucht, aus dem Nationalsozialismus gelernt zu haben. An dieser Stelle parallelisiert Bahners die Argumentationsfigur Rauchs mit dem Diskurs der AFD, die natürlich auch nicht offen zu verstehen gebe, an den Nationalismus anzuknüpfen. Auch die AFD behaupte bei ihrer Kritik an grünlinker Politik, die Lektion des Nationalsozialismus gelernt und beherzigt zu haben. Anlässlich dieser Feststellung der Gemeinsamkeit von Rauch und AFD möchte Bahners nicht missverstanden werden: er wolle Neo Rauch nicht „auch nur“ zum verkappten Apologeten oder Sprecher der AFD machen.
Die bisher entfalteten Deutungen von Bahners verdienen eine erste Gegenführung: Rauch sagt, dass Kassel dem Kollektivismus huldigte und ihn der Kollektivismus an die grauenvollen Zustände erinnere, die wir hinter uns gebracht wähnten. Wenn jemand, der bis 1989 beinahe die Hälfte seines Lebens in der DDR verbracht hat, in dieser mit Bedacht gewählten Allgemeinheit spricht, meint er mit den grauenvollen Zuständen hier in Deutschland sicherlich nicht nur den Nationalsozialismus. Mit einer solchen Lebenserfahrung hat der Kollektivismus einen weiter gefassten Bedeutungshorizont als mit Fokus auf den NS, wie von Bahners zu eng visiert. Rauch hat die grauenvollen Zustände eines linken Kollektivismus miterlebt und allein schon deshalb große Vorbehalte gegen dessen aktuelle Varianten, ganz unabhängig von den „antisemitischen Vulgaritäten“ (Rauch) des kuratierenden Künstlerkollektivs von 2023, die skandalisierend hinzukommen.
Im Spiegel dieser umfassenderen Deutung verliert die Argumentation von Bahners gleich zu Beginn ihre hermeneutische Deckung und erweist sich als Projektion. Die zur Anwendung kommende „Figur der Extremismusdiskussion“, eine seiner Schablonen, mit der er eine Gemeinsamkeit von Rauch und AFD herstellt, wird gegenstandslos. Seine rhetorische Vorsicht, Rauch nicht zum Apologeten oder Sprecher der AFD machen zu wollen, verwandelt sich in diesem Licht in die Respektlosigkeit, zu versuchen, Rauch ohne hinreichenden Beleg ins Boot mit der AFD zu setzen.Die Erklärung von Rauch für das Scheitern der Documenta 2023 liegt allein in deren kollektivistischer Konzeption von Kunst und Künstler begründet, die er ganz persönlich als „Attacke auf den Künstler als solchen“ begreift. Nun ist es wahrlich nicht politisch verwerflich, unzeitgemäß die romantische Konzeption des Künstlers in der Daseinsform eines Sonderlings, eines von den gesellschaftlichen Grundmaßstäben abweichenden Könners, bei der Gegenattacke ins Feld zu führen. Immerhin liegt dieser Konzeption in guter demokratischer Tradition die Kategorie des Individuums, das sich nicht im Kollektiv normativ einpasst und versteckt, als Basis zugrunde, von der aus der Künstler in den Dialog mit der Gesellschaft tritt und mit seinem Können bestenfalls Ehrfurcht und Staunen erzeugt.

Mit der Kennzeichnung des Künstlers als Sonderling und Einzelgänger, der etwas könne, was sonst niemand kann, erzähle Rauch den Lohengrin-Mythos nach. Rauch empfinde es als Auszeichnung, als deutscher Maler angesprochen zu werden. Diese Identität sei ein unkorrigierbarer Sachverhalt, und für ein nationalistisches Denken sei es typisch, das als Auszeichnung zu empfinden, was nicht zu ändern sei. Selbst, wenn Rauch es wollte, könne er es nicht ändern. In der Gestaltung des Naturgegebenen, so sei das nationalistische Denken, liege die Leistung.

Die Selbststilisierung Rauchs als Lohengrin liege für Bahners deshalb „sehr nahe“, weil dieser zusammen mit seiner Frau Rosa Loy in Bayreuth 2018 das Bühnenbild dieser Oper entworfen hat. Was Bahners hermeneutisch allzu divinatorisch daraus ableiten zu können glaubt, ist eine mythologische, psychologische und geschichtspolitische Imitatio der Lohengrin-Figur als Sonderling durch Rauch, der dann auf dieser Folie sein Künstlertum als naturgegeben und wesenhaft deutsch zu charakterisieren vermag. In der Natur unveränderbar, komme seiner Malerei in der Selbstwahrnehmung die Leistung zu, dieses Wesen zum Ausdruck zu bringen, was er dann selbst als Auszeichnung empfinde – typisch für nationalistisches Denken, so Bahners.
Ausgehend vom Begriff des Sonderlings, lässt sich dieser Konstruktion von Bahners eine deutlich tragfähigere Lesart entgegenhalten. Wenn aktuell, jenseits der Wagneroper, in der kontextuell wesentlich näher liegenden Sphäre der Malerei vom „Sonderling“ gesprochen wird, dann ist beispielsweise der Romantiker Caspar David Friedrich gemeint, der sowohl habituell als auch künstlerisch zu seiner Zeit als Außenseiter betrachtet wurde und bis heute mit seinen Bildern ehrfürchtiges Staunen bei großen Teilen des Publikums erzeugt. Wie Florian Illies in seinem Friedrich-Buch „Zauber der Stille“ berichtet, wehrte Friedrich aus vielfältigen Gründen die Versuche von Malerfreunden ab, ihn zu einem Italienaufenthalt zu überreden. Ihm graute vor der Hitze und der ewig knallen Sonne, das ganze Tageslicht im Süden überforderte ihn. Rauch hat, unabhängig von Urlaubsreisen dorthin, bezüglich seiner malerischen Produktivität einmal gesagt: „Im glücklichen Italien fällt mir nichts ein.“ Auf die häufigen Nachfragen bezüglich anderer produktiver Orte fürs Malen auf dieser Welt hat Rauch immer wieder abgewunken: „Ich brauche die Lichtverhältnisse, den Wechsel der Jahreszeiten, der auf das Gemüt in bestimmter Weise wirkt.“ Im subtropischen Klima würde er wahrscheinlich verdorren wie eine Backpflaume und den grauen Himmel brauche er ebenfalls. (NZZ)

Wie Friedrich, sieht er sich im Schaffen abhängig von seiner angestammten Umgebung, und wenn gerade amerikanische Fans, aber auch Asiaten, an seiner Kunst „alles ‚so German‘ finden“ (NZZ), empfinde er das als Auszeichnung, nicht weil er als deutscher Maler angesprochen wird, sondern weil seine Bildsprache aus der Sicht ihrer internationalen Betrachter deutsch wirke. Derart verstehe er sich als deutscher Maler, das sei ein unkorrigierbarer Sachverhalt, allerdings nicht im Sinne von Naturgegebenem, wie Bahners insinuiert, sondern von dort gelebtem Leben. Und er spezifiziert den Künstler dann regional: „ein mitteldeutscher am Ende sogar noch“. Es gebe „Anbindungen an die landschaftlichen Besonderheiten, die mich von Geburt an umgeben“, auch „Architektonisches“ spiele hinein (NZZ). Das Deutsche seiner Malerei, wie Rauch es hier beschreibt, hat also nichts mit nationalistischem Denken zu tun, ist kein Ausdruck von deutschem Rechtsnationalismus, sondern rein regional, landschaftlich und architektonisch vermittelt. Hinzu komme noch das Physiognomische, das Personal, das ihm auf der Straße begegne. So gelesen und ausschließlich kulturell zu verstehen, erscheint Neo Rauch als ein Individualist und Sonderling aus Mitteldeutschland in romantischer Tradition, vor dessen Bildern die Betrachter weltweit gebannt verharren und den Bahners durch den willkürlichen Umweg über Wagners Lohengrin als Künstler politisch deutschnational einfärbt und auflädt.

Rauchs Wortwahl hat Anteil daran, so gesehen zu werden. Die von ihm verwendete Metapher des „sich einsinken Lassens“ in die umgebende Lebenswelt nimmt Bahners zum Anlass, den für ein nationalistisches Denken typischen substanziellen Nexus von Lebensraum als Kraftquelle für denjenigen, der sich in ihn einsinken lässt, zur Sprache zu bringen. Als Metapher zur Erklärung künstlerischer Produktivität in romantischer Diktion mag man für das Einsinken Verständnis entwickeln. In politischer Tradition hat der substanzielle Nexus von deutscher Erde als Kraftquelle und ihren Bewohnern im rechten Nationalismus zu katastrophalen ideologischen Formationen geführt, so dass in Deutschland nach 1945, um einen zentralen Begriff für diesen Nexus zu benutzen, von „Heimat“ im naiven, substanziellen Sinn kaum noch gesprochen werden konnte, ohne sich einem Verdacht auszusetzen. Doch Rauchs Sprachgebrauch legt nahe, dass er den Nexus nicht substanziell naturalistisch, sondern kulturell lebensweltlich empfindet und versteht. Rauch gebe für ein von ihm häufig verwendetes Motiv, die rauchenden Schornsteine, eine sehr konkrete politische Deutung. Er weise auf eine Entwicklung in seinem Werk hin, dass sie seit einigen Jahren weniger oft vorkommen, nicht mehr rauchen und sich die Gegenwart Deutschlands darin spiegele. „Die Werke sind nicht mehr in Betrieb…Wir schaffen uns gerade als Industrienation ab. Wir nehmen uns vom Netz, verabschieden uns aus der Riege der ernstzunehmenden Völker. Und tun das mit Verve, Lust und Hingabe, mit religiöser Glückseligkeit.“ Rauch lässt sich an dieser Stelle dazu hinreißen, die von ihm sonst so streng befolgte Trennung seiner ästhetischen Bilderwelt von der konkreten Wirklichkeit aufzugeben und ein Motiv seines Werks als Illustration der politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse der deutschen Gegenwart zu kennzeichnen. Ästhetische schlägt hier in politische Romantik um und gerät damit in ideologisches Fahrwasser.

Viel häufiger jedoch zieht Bahners, bei aller Selbstermahnung zur Vorsicht in der Deutung, den Anspielungshorizont einzelner von Rauch verwendeter Vokabeln hermeneutisch zu weit und verwandelt sie in Chiffren für eine deutsch-nationale Grundhaltung, die als Destillat aus anderen Fällen schon länger in seinem Werkzeugkasten bereitliegen. Der anklingende allgemeine Sprachgebrauch gibt diese Konnotationen für seine Annotationen kontextuell zwar her, doch ob Rauch sie im Sinn hat und sich adäquat verstanden fühlte, ist stark zu bezweifeln. Sicherlich sagt der Sprachgebrauch einer Person mehr und anderes, als sie intentional zu sagen meint. Rauchs ganz persönlicher, kontroverser politischer Eindruck, „Noch nie wurde das Land von so unbedarftem Personal regiert wie gegenwärtig.“, wird von Bahners jedoch so weit gefasst, dass er Rauch meint unterstellen zu können, er spreche mit diesem Satz nicht von der „Bundesrepublik“, sondern von „Deutschland“ in seiner langen Geschichte, so dass deshalb diese Äußerung in ihrer Ausblendung der Ära des Nationalsozialismus äußerst „makaber“ sei. Eine verdrehte Argumentation! Spricht Rauch doch unmittelbar davor allein über das gegenwärtige Deutschland und auch hier mit Sicherheit nur über das Personal des Zeitraums, den er seit 1989 überblicken kann.
Bahners unterstellt Rauchs Rede durchgehend ideologisch-politische Implikationen, wittert in dessen sprachlicher Verwendung bestimmter Begriffe immer auch Wiederholungen von mitschwingenden rechtsnationalen Formationen der Vergangenheit. Er sieht die einzelne, häufig gewagte und zweifelhafte Interpretation durch die ideologisch so eindeutige Kontextualität im Allgemeinen so stark abgesichert, dass er eine naivere, alltagssprachliche Verwendungsweise bestimmter Begriffe bei Rauch gar nicht mehr in Erwägung zieht. Der Sinn ergebe sich im Mosaikverfahren, nicht jede einzelne Stelle könne, isoliert betrachtet, immer mit dem aufgeladen werden, was er in sie hineinlese, wenn es den Kontext nicht gäbe. Vom Kontext daueralarmiert, legt Bahners jede Begriffsverwendung von Rauch auf die Waage für rechte Ideologie und verschiebt verwendete Metaphern schon beinahe reflexartig sogleich in diesen Denkraum, ohne dem unmittelbaren Wortsinn eine größere Berechtigung einzuräumen.
Ein Beispiel für diese Vorgehensweise ist sein Umgang mit Rauchs Beschreibung seiner Malweise, seines Arbeitsstils, bei dem es eine „Homogenität“ des malerischen Vortrages gebe. Rauchs Anspruch ist schließlich, von Bahners in diesem Kontext nicht erwähnt: „Im Wesentlichen sollte das Bild wie aus einem Guss wirken.“ (NZZ) Bahners begreift diese von Rauch beschriebene Homogenität des malerischen Vortrags im Unterschied zu Kunstobjekten des Typus Assemblage. Rauch fülle seine Leinwand unter dem Gesichtspunkt der Homogenität. Unabhängig davon, dass die Feststellung von Homogenität ganz dem subjektiven Kompositionsempfinden des Malers Rauch unterworfen ist, löst Bahners diesen Begriff aus der künstlerischen Produktionsbeschreibung Rauchs heraus. Die Figur der Homogenität kennten wir eben aus der Geschichte des Diskurses um die Nation, aus dem Staatsrecht in der Linie von Carl Schmitt bis Ernst-Wolfgang Böckenförde. Die Vokabel der Homogenität sei dort eine ganz entscheidende Chiffre! Bahners spielt die Bedeutsamkeit des Topos der Homogenität im Rahmen rechtsnationalen Denkens nur an, um in diesem Fall erneut eine Anschlussfähigkeit von Rauchs Eigenbeschreibung des Malvorgangs mit dem Denken der Neuen Rechten nahezulegen. Mit der analogen Übertragung des Kriteriums der Homogenität aus dem Malprozess ins Staatsdenken behauptet Bahners implizit: wer sein Malen so beschreibt, sieht auch die Nation primär unter diesem Gesichtspunkt, mit Konsequenzen in der politischen Einschätzung aller Teilbereiche, von Leitkultur bis Migration. Diese assoziative Übertragung des Kriteriums der Homogenität aus der Kunst in die Politik wirkt in ihrer Arbitrarität gewollt denunzierend.
Ein weiteres Beispiel für hermeneutischen Überschuss ist der Umgang von Bahners mit Rauchs Verwendung des Begriffs der Krankheit für eine Partie im eigenen Bild, der es an Eleganz fehle. Obwohl Rauch sich in der Beschreibung dieses Beurteilungsvorgangs zunächst ganz handwerklich mit einem Tischler vergleicht, der sein Möbelstück, mit den Händen abtastend, auf Mängel überprüft, konzentriert sich Bahners, ohne diesen Vergleich zu erwähnen, sofort auf die Krankheitsmetapher und zitiert Rauch: „Wenn ich spüre, dass ein Bild an einer Stelle eindeutig krank ist, dann muss ich handeln. Denn die Stelle infiziert das ganze Bild.“ Nachdem Bahners dieses Zitat vorgelesen hat, wird er, im sicheren Gefühl, einen Wirkungstreffer zu setzen, besonders eindringlich im Ton und möchte mit erhobener Stimme an dieser Stelle seines Vortrags so deutlich wie möglich aussprechen, worum es ihm gehe. Er beschreibt dann die Verwendung der Krankheitsmetaphorik von Rauch in einem total abrupten Transfer als Ausfluss eines biologistischen oder auch organologischen Diskurses, bei dem – wie wir gelernt hätten – sehr bedenklich biologische mit kulturellen Realitäten eins zu eins gesetzt würden. Das Frankfurter Publikum sähe hier einen Künstler, der in Bezug auf die Kunst von Gesundheit und Krankheit spreche, obwohl es doch in Deutschland die Aktion gegen die sogenannte entartete Kunst und viel Schlimmeres gegeben habe. 
Nicht veranschlagt wird, dass Rauch über seine eigenen Bilder sprechen kann wie er will und es sich, vom unmittelbaren Kontext doppelt bestätigt, um eine handwerklich-kompositorisch gemeinte Beschreibung handelt. Denn direkt auf den oben zitierten Satz sagt Rauch, von Bahners wieder unberücksichtigt: „Auf der anderen Seite tut es jedem Bild gut, wenn es auch Bereiche behält, die nicht komplett durchgeformt sind.“ Mit diesem Satz werden formale Probleme der Bildkomposition beschrieben, die zuvor mit dem Krankheitsbegriff gemeint sind und auch im Vergleich mit dem Tischler aufscheinen. Es liegen im Sprachgebrauch Rauchs keinerlei Indizien vor, die den Transfer zur entarteten Kunst und zum Biologismus der NS-Ideologie überhaupt rechtfertigen. Da geht das ideologiekritische Werkzeug des Biologismus mit dem Diskursanalytiker durch.

Ein letztes Beispiel für die übertriebene Einordnung von Metaphern Rauchs in den rechtsnationalen Diskurs geht aus dem folgenden Zitat, das Bahners ins Feld führt, hervor: „Und dann gibt es den Impuls des Vorschnellens und Realisierens. Da bin ich auch in größerer motorischer Bewegtheit zu erleben. Es geht darum, ein Stück Land zu erobern. Das macht einen Riesenspass. Es ist abenteuerlich und verheißungsvoll.“ Da würde Bahners „wieder dasselbe sagen“, dass 75 Jahre, nachdem Deutschland versucht habe – und Künstler wären ja im Schaffen ihrer Historienbilder mitbeteiligt gewesen – in ganz Europa ein Land nach dem anderen zu erobern, dass hier ein bewusst sich als konservativ und unweigerlich und schicksalhaft deutscher Maler verstehender Mann sich so darstellt, dass der eben über seine eigene Malweise sage, das sei so, wie wenn ich ein Land erobere: das sei Ausdruck rechtsnationalen Denkens, so Bahners.
Dabei ist Rauchs Beschreibung des abenteuerlichen und verheißungsvollen Eroberns der Leinwand in romantischer Tradition ausschließlich auf die eigene Imagination gerichtet, der das Bild erobernd als Land abgerungen und entrissen werden muss. Den deutschen Eroberungskrieg der Nazis, angesichts dieser Beschreibung des Malvorgangs, als mitschwingende Bedeutung ins Spiel zu bringen, entbehrt jeder hermeneutischen Grundlage, zumal Rauch, von Bahners wieder unberücksichtigt, für ihn wichtige Phasen der Bildentstehung zuvor mit den Begriffen der „Empfängnis“ und „Anverwandlung“ beschreibt.

Bahners behandelt Rauchs Rede als Sammelbecken rechtsnationaler Chiffren und adressiert damit die Brandmaurer gegen rechts. Rauch ist ihm lediglich die Variation seines AFD-Themas, ein Fallbeispiel. Was dabei am Ende des Vortrags in den Köpfen des Publikums hängenbleibt, ist der Eindruck eines politisch weit auf der rechten Seite stehenden Malers. Zwar kein „neuer Nazimaler“, wie Bahners eingrenzend formuliert, aber gerade in dieser Negation wird durch die polemische Verwendung des Begriffs „Nazimaler“ die Richtung überdeutlich angezeigt, in die sich Neo Rauch begeben habe. Unmittelbar folgend, erwähnt Bahners, zur Bestätigung seines Blicks auf Rauchs Sprachgebrauch, „nur im Sinne der Anspielung“, dass Rauch schon „von dem Kunstkritiker und Kunstwissenschaftler Wolfgang Ullrich“ mit diesem Vorwurf, eben doch „sowas“ nahezulegen, konfrontiert worden sei: „den Rechten, der Neuen Rechten, den intellektuellen Rechten und ihren politischen Verbündeten Nahrung, Themen und Anschlussmöglichkeiten zu geben.“ Die Anspielung auf Wolfgang Ullrich, der noch assoziativer agiert als Bahners selbst, ändert rein nichts am vorliegenden Modus ungedeckter Behauptung.

Rauch versteht sich explizit nicht als Intellektueller, der die Verwendung seiner Begriffe auf ihre mitschwingenden ideologischen Bedeutungen abklopft, aber auch nicht als „Neuer Rechter“, was er der Öffentlichkeit mit seiner künstlerischen Reaktion auf Ullrich überdeutlich gezeigt hat. Er versteht sich als Künstler, und als solcher kommentiert er im NZZ-Interview eigensinnig von hoher Warte, aus Idealismus nörgelnd und ungeduldig, sorgenvoll, zornig und konträr zum gängigen Betrieb die politischen Zustände Deutschlands auf eine Weise, die seinem romantischen Selbstentwurf entspricht. Wer darin die Kunde einer höheren Wahrheit im deutschnationalen Sinn zu entdecken glaubt, merkt nicht, dass Rauch spontan und unsystematisch seine Unzufriedenheit mit den aktuellen Zuständen zum Ausdruck bringt, in der ihm eigenen, unzeitgemäß wirkenden, manchmal eben auch rechts blinkenden Sprache.

Man muss den starken metaphorischen Charakter von Rauchs Sprechen in Rechnung stellen: „Er beschreibt sich als deutscher Künstler, mit Sinn für die Romantik. Und so redet er auch. Er spricht eine außerordentlich bildreiche, fast plastische Sprache, die selbst wie Malerei erscheint, weil sofort Bilder im Kopf entstehen.“ Diese phänomenologisch orientierte Charakterisierung durch den Germanisten Dirk Oschmann (Interview: Berliner Zeitung 30.12.23) anerkennt ganz selbstverständlich Rauchs Selbstbeschreibung als romantischer Künstler und bringt dessen sprachliche Eigenheit auf den Punkt, ohne dabei mit dem Vorwurf der Unzeitgemäßheit, des Konservatismus oder der impliziten rechten Ideologie zu agieren und Anpassung einzufordern. Rauch liest und spricht offensichtlich weniger begrifflich, sondern stärker bildlich. Er hat sicherlich Ernst Jünger intensiver als Jürgen Habermas gelesen, und der Patriotismus in seiner romantischen Vorstellungswelt geht bestimmt über unsere tatsächliche Verfassung hinaus, ohne dass er sie in Wirklichkeit auch nur ansatzweise infrage stellen würde.

Der Historiker Heinrich August Winkler hat in einem Interview (FAZ, 2.1.24) festgestellt, dass sich „traditionelle Formen von deutschem Nationalismus“ unter der Decke eines verordneten Antifaschismus im Osten in stärkerem Maß als Vorbehalt gegenüber der westlichen Demokratie behauptet haben, als im Westen. An anderer Stelle (SZ, 28.9.23) spricht er von „altdeutschen Vorbehalten“, die aufgrund ungleichzeitiger Entwicklung in der DDR viel ausgeprägter überlebt hätten. Die AFD, die wie eine Wiedergeburt der Deutschnationalen Volkspartei in ihrer radikalen Spätphase erscheine, sei der Nutznießer dieser Ungleichzeitigkeit. Einzelnen Aspekten für diesen Befund genauer nachzugehen, erscheint sinnvoller, um Neo Rauchs Vorbehalte und Eigenheiten einordnen zu können, als das westdeutsche ideologiekritische Besteck zu wetzen, um die Deutungshoheit über ihn als Fallbeispiel zu erlangen; und wenn man Rauch wohlwollend sein Künstlertum als individuelle Abweichung vom Mainstream zugutehält, dann ist die Herangehensweise von Bahners an ihn, wie auch von Ullrich, schon im Ansatz verfehlt.  

Statt ihn hinter die Brandmauer zu verbannen, sollte Bahners besser über den Gartenzaun hinweg den Austausch suchen. Ihm muss klar sein, dass der Vortrag zwar bei seiner geisteswissenschaftlichen Gemeinde mit der Konstruktion dieses Befundes Beifall erzeugt, doch bei kritischen, liberalen, konservativen Geistern und Rauch selbst – trotz berechtigter Gesamtperspektive – eher als hermeneutische Übertreibung, diskurspolizeiliche Intervention und kulturpolitische Provokation Resonanz findet. Dem selbstgefälligen Heureka der Erkenntnis fällt die Verständigung zum Opfer. Weil sich Rauch schon einmal so vehement und zu Recht gegen die dunkelbraune Einfärbung gewehrt hat, liegt es auf der Hand, dass sich sein politisches Selbstverständnis mit der Diagnose von Bahners überhaupt nicht im Einklang befindet. Da klafft eine Differenz von Selbstwahrnehmung und wissenschaftlicher Fremdwahrnehmung.

Die unangebrachten ideologischen Zuschreibungen von Bahners tragen für Rauch dennoch eine Botschaft in sich: gerade als öffentliche Person den politisch-ideologischen Resonanzraum seines Sprechens stärker bedenkend in den Blick zu nehmen, um unliebsame Zuschreibungen aus der nicht so wohlwollenden Ferne zu vermeiden. Der nachträgliche Zorn, nicht angemessen verstanden zu werden, hilft allein nicht weiter. Patrick Bahners sei angeraten, wesentlich vorsichtiger mit gewagten Deutungen gegenüber Personen zu agieren, die parteipolitisch nicht identifizierbar sind und verbal nur selten explizit politisch in Erscheinung treten. Da hilft es nicht, methodisch auf die überzeugend starke Kontextualität hinzuweisen, um hermeneutisch an den Haaren herbeigezogene Einzeldeutungen zu legitimieren, die dann in dem, durch die Begriffsverwendung zugleich vergifteten und entlastenden Urteil kulminieren, Rauch sei kein „neuer Nazimaler“. Methodisch ist das Vorgehen desolat, weil schon die Textgrundlage viel zu schmal ist, um die Herleitungen aus dem Status der subjektiven Assoziation in ein breit abgesichertes Resultat zu überführen. Die Einzeldeutungen wirken erzwungen und deshalb übelwollend. Zudem ist verwunderlich, dass weder Wolfgang Ullrich noch Patrick Bahners ein Gespür für die Anmaßung und Unhöflichkeit zu haben scheinen, eine Person der Kunstsphäre als Fallbeispiel zum Objekt des Politischen zu machen, sie mit diesem Vorgehen ihrer Personalität zu entheben, der wissenschaftlichen Deutungsmacht zu unterwerfen, um sie schließlich zu repersonalisieren und im Ergebnis diffamierend auszugrenzen.
Olaf Haas, Januar 2024